Herbst-Bikepacking am Rennsteig 2020
Herbst-Bikepacking am Rennsteig 2020 – der Plan hat Michi neugierig gemacht. Nein – so hätte ich den Artikel gerne angefangen…Nochmal:
Herbst-Bikepacking am Rennsteig – damit habe ich Michi in den Ohren gelegen. “Fahr mit, das ist großartig, um den Gefrierpunkt im Wald zu schlafen”. Mist. In “Gefrierpunkt” steckt “frier”. So bin ich also über die Merino-Nummer in Michis Ohr gekrabbelt: wird superwarm das Zeug, da kannst Du selbst im Herbst noch draußen schlafen … und eigentlich will ich nicht alleine fahren….
Rennsteig 2020 – fangen wir von vorne an: Planung
Herbst-Bikepacking am Rennsteig 2020. Ich habe meine Chance gewittert: eine neue Bikepacking Freun.din am Start, wenn ich dieses Wochenende nicht versaue. Die Rahmenbedingungen sind hart:
- Michi hat noch nie eine Radtour in der kalten Jahreszeit gemacht
- Michi hat noch nie um den
Gefrierpunkt(Mist, da ist wieder das Wort). Nochmal: - Michi hat noch nie im Herbst außen geschlafen
- ach ja: um Michi hat kein Rad dafür.
Ich musste mir also erstmal einen Plan machen, all diese Punkte abzuarbeiten. Teils mit Argumenten (irgendwann gibt sie auf und vertraut mir), teils mit technischen Lösungen. Da technische Lösungen leichter sind, habe ich erstmal ein Kinderfahrrad aus dem Familienbesitz an Michis Körpergröße angepasst. Michi ist 158 cm groß. Gut. Das Argument “Ich habe kein Fahrrad” war damit beseitigt. Dann ging es weiter mit den Überredungskünsten:
- in Regelmäßigen Abständen Youtube-Links vom Rennsteig schicken. Check.
- Glaubhaft die richtige Dosis Vorfreude versprühen, ohne Zugzwang zu generieren. Check.
- Packlisten-Abstimmung. Check.
- Rahmenbedingungen klären: Erlebnis vor Ergebnis. Check.
- Befürchtungen ausräumen, weil ich verantwortungsbewusst bin und mir klar ist, dass das nicht jeder einfach mal so mitmacht. Und das war der wichtigste Punkt.
Der Tag rückte näher und ich glaube, wir haben uns beide in Wahrheit schon richtig darauf gefreut und waren beide sehr aufgeregt…
Gegen Christians Überredungskünste hatte ich ja noch nie Viel entgegen zu setzen. Dass wir so am Ende mal bei Temperaturen knapp über 0° am Rennsteig landen – ich voller Matsch und er überladen mit Gepäck – hätte ich nicht ahnen können. Doch Eines muss man ihm lassen: Schlecht war bislang keine Idee, zu der ich überredet wurde.
„dunkler, kalter Wald, heißes Essen, kuschelig warm eingewickelt, in einer Schutzhütte aus Holz – sich fragend, was man hier eigentlich treibt“ – solche Nachrichten erreichen mich in der Gewinnungsphase täglich – gepaart mit einer unbeschreiblichen Vorfreude auf ein Bikepacking Wochenende im Wald und Lösungen für jedes erdenkliche Problem. Als Kälte und ein nichtvorhandenes Mountainbike als Ausreden ausgedient hatten, hat Christian es also mal wieder geschafft: JA, ich bin dabei! Vorfreude. Aufregung. Angst? Gedanklich genieße ich noch einmal jede Nacht in meinem warmen Bett, jedes Luxusgut, das mich täglich umgibt. Wissend, dass es bald für ein Wochenende damit vorbei ist. Raus aus der Komfortzone für 3 Tage, nicht wissend, was mich dort Draußen alles erwartet. Und dennoch war sie plötzlich da: – neben all der Aufregung – Vorfreude. Endlich ist Freitag, der 16.10.2020. Und ich fahre heute in den Wald und erlebe endlich, warum Christian so vom Bikepacking schwärmt und ich werde dabei sein. Und ja, ich glaube, das wird großartig!
Freitag, 16.10.2020
Abfahrt in Nürnberg. Mit dem Auto nach Eisenach. Natürlich zu spät losgekommen, komischerweise aber kein Stau. An einem Freitag Nachmittag.
Michi – Du musst mich unbedingt vor der Parkhauseinfahrt daran erinnern, dass ich Räder auf dem Dach habe. Vor dem McDonald’s Drive In hat uns dann der hungrige Autofahrer hinter uns mit seiner Hupe erinnert. Ging gerade nochmal gut…
In Eisenach angekommen haben wir dann gefühlt Gepäck für zehn Mann auf einem Rad versucht unterzubringen. Ich glaube, am Ende hatte ich ein Systemgewicht von 140 kg. Das ist aber so, wenn man die erste Bikepacking-Tour macht und halt noch kein eigenes Equipment hat. Da sind Schlafsack, Klamotten & Co. eben noch nicht gewichts- und volumenoptimiert. Aber: Michi hatte sich wirklich auf das Nötigste reduziert. Problem war eher die Tatsache, dass ich für drei Tage Essen für zwei Personen eingepackt habe. Bedeutet aber auch: es wird von Tag zu Tag leichter.
Die Abfahrt nähert sich. Christian steht schon vor der Tür, wir wollen los – es bricht Hektik in meiner WG aus. Jeder geht noch einmal gewissenhaft mein Gepäck durch, ob ich unter den wenigen Dingen, die ich einpacke, auch wirklich nichts vergessen habe. Nein, nichts vergessen. Gepäck: Check. In WG-Tradition noch 1-2 Kurze auf die Aufregung uns los geht’s. Nun sitzen wir endlich im Auto – Ziel: Eisenach. Ich kann es noch nicht ganz glauben, dass ich das mache und hier sitze, halte es für etwas verrückt und realisiere so langsam: Wir machen das wirklich. Heute geht’s aufs Rad in den Wald! Und je weiter wir fahren, desto weniger kann ich es erwarten, anzukommen. Ein letzter Stop im McDonalds und dann, endlich, waren wir auch da.
Nur noch die Räder packen und los. Ich korrigiere: Christian bepackt sein Rad. Auch damit wurde ich nämlich überredet: Als Neuling muss mein Rad kein Gepäck schleppen. Und so langsam wurde mir nun klar, was Bikepacking bedeutet. Bei dem Anblick von Christians Rad hab sogar ich ein weiteres Mal jedes Gepäckstück hinterfragt, das ich eingepackt hatte. Gut, auf 1-2 Dinge verzichten wir noch, Rest ist verstaut – lass uns los!
Endlich Abfahrt.
Ich wurde immer nervöser. Die Stadtgeräusche haben mich irgendwann nur noch genervt. Die erste Orientierung ist das Nervigste. Bis das Wahoo mich – zugegeben nach wenigen Sekunden – fragt “Zum Start navigieren?”. Ja. Bitte. Mach es möglichst schnell. Dann ging es auch schon los: die Straßen wurden immer dunkler, endlich das Ortsschild, Landstraße, Finsternis: der erste Schritt ist geschafft!
In meiner Planung ist mir jedoch ein Fehler unterlaufen: ich habe bei Komoot Typ “MTB” hinterlegt. Das ist mit 140 kg schwierig. Kommen wir später zu. Als wir den Einstieg zum Rennsteig gefunden haben, hat sich mein Gehirn abgeschaltet: Drachenschlucht. Wie geil ist das denn? Nur halt nicht, wenn man mit einem LKW statt mit einem MTB unterwegs ist. Aber: es war die erste Herausforderung, die Drachenschlucht über glitschig nasse Holztreppen nach oben in den Wald zu verlassen. Abwechselnd Fahrrad, dann Taschen tragend. Danke Michi.
Als wir den Rennsteig befahrbar erreicht haben, tanzten hunderte Nachtfalter um unsere Lichter. Herrlich. Es wurde immer dunkler, feuchter, duftender und stiller: wir waren zu Gast im wundervollen Thüringer Wald. Wir folgten dem weißen “R” so vor uns hin, ohne Ziel, ohne Zeitdruck, vertieft in schöne Gespräche. Gut, wer mich kennt: oftmals Monologe meinerseits.
Die erste Schutzhütte, bei der wir eine Teepause gemacht hatten, war bereits von Wanderern belegt. Das war ein schönes Gefühl, dann doch noch Gleichgesinnte zu dieser Jahreszeit zu haben. Also tranken wir unseren Tee flüsternd, um zeitnahe wieder aufzubrechen.
{Notiz an mich selbst: nicht so viel Details, das ließt sonst niemand mehr!}
Nach einer abwechslungsreichen Fahrt durch den nächtlichen Wald kamen wir irgendwann an dem Punkt an, an dem wir beide Hunger bekamen. Die Suche nach dem richtigen Nachtlager rückte näher…
Nun war er also gekommen: Der Moment, in dem mein erstes Bikepacking Erlebnis endlich beginnt. Ab aufs Rad und fast beiläufig wird die letzte große Frage der vergangenen Tage gelöst: Passt die kleine Michi eigentlich aufs Rad? Ja, passt. Natürlich. Wurde ja alles akribisch durchgeplant.
Es dauert nicht lang und wir finden uns auf einer dunklen Landstraße mitten im Wald wieder. Den Einstieg in den Rennsteig suchend finden wir die Drachenschlucht: Ein für Räder nahezu unbefahrbarer, aber wunderschöner Wanderweg. An einer steilen Waldtreppe kapitulieren wir dann, nehmen das Gepäck vom Rad und nähern uns mühevoll dem Rennsteig. Stufe für Stufe. Meter für Meter. Was für ein Einstieg! Dennoch trübt es unsere Laune nicht – freuen wir uns doch so sehr darüber, im Wald angekommen zu sein, die Stadt hinter uns gelassen zu haben und nun endlich oben am Rennsteig angekommen zu sein! Schnell wurde uns klar, dass wir unsere geplante Tagesstrecke nicht schaffen werden. „Erlebnis vor Ergebnis“ wird mir gebetsartig immer wieder eingetrichtert und je länger wir unterwegs waren, desto mehr konnte ich mich auf dieses „Erleben“ einlassen. Bald waren wir von dichtem Nebel und unzähligen Nachtfaltern umgeben, die sich in unseren Lichtern tummelten. Hallo, Wald! Ich find dich schön!
Nachtlager
Man sollte nicht immer gleich die erstbeste Möglichkeit nutzen. Das mal vorab als “Learning”. Denn: die erste Hütte die wir fanden, wäre ein zugiges Nachtlager auf sandigem Boden gewesen. Das mag im Sommer ausreichend sein, im Herbst ist das Schlafen auf einer ordentlichen Bank jedoch angenehmer. Nach kurzer Rücksprache fuhren wir also noch ein paar hundert Meter, bogen ums Eck und “BANG!”: eine der neuen (Baujahr 2013) Schutzhütten mit Fensterscheibe begrüßte uns am Wegesrand!
Wir sind schon eine ganze Weile unterwegs, als wir beschließen, die Augen nach einem Nachtlager offen zu halten. Dem dichten Nebel geschuldet befürchtet wir, dass wir nicht jede Schutzhütte sehen und uns halbwegs kompromissbereit geben sollten. Und es verstreichen tatsächlich einige Kilometer, bis wir dann auch fündig werden. Leider ist die gefundene Schutzhütte nicht sehr einladend: Klein, düster und irgendwie sieht das alles sehr feucht und kalt aus. Vor allem aber hat sie keine Bänke, die mich einladen, mein Bettchen darauf zu errichten. Nach einer kurzen Absprache beschließen wir also, das Risiko einzugehen und nach der nächsten Hütte Ausschau zu halten. Und das wird belohnt: Keine 5 Minuten später finden wir die perfekte Hütte für unsere erste Nacht im Wald. Mit breiten Bänken, einem großen Tisch, viel Platz und sogar Deko, Kerzen und einem Gästebuch. Ja, hier bleiben wir gern über Nacht!
Die Hütte war wundervoll ausgestattet: eine Laterne, Teelichter, Haken für Kleidung, ein Thermometer, ein Gästebuch und viele kleine Details bescherten uns einen gemütlichen Abend inmitten winterlicher Temperaturen.
An diesem Abend kochte ich uns ein heißes Süppchen mit Nudeln und Hühnerfleisch, dazu Bier und Tee. Schon die ersten wenigen Kilometer hinterließen so viel Eindrücke in meinem Kopf, dass ich mit tausend schönen Gedanken im Bivy warm eingepackt glücklich einschlief. Danke Michi für die schönen Gespräche.
Ich bekomme eine warme Mahlzeit, ein Bier, das mir viel zu kalt ist und einen wärmenden Tee. Dann steht sie an: Die erste Übernachtung. Christian verabschiedet sich mit einem „Gute Nacht“ und fällt beim Wort „Nacht“ gefühlt schon in den Schlaf. Ich muss gestehen: Ich tu mich da schwerer – bis 3 Uhr nachts versuche ich, eine bequeme Position auf der Bank zu finden – so eingerollt, dass mir warm bleibt. Ich bin dankbar über das Licht der Kerzen und finde schließlich auch in den Schlaf. Gute Nacht Rennsteig, bis morgen früh. Ich bin gespannt, wie du im Hellen aussiehst!
Samstag, 17.10.2020
Guten Morgen kalte Füße, guten Morgen kalte Nase, guten Morgen Kondenswasser, guten Morgen volle Blase. Ansonsten gut geschlafen.
Wie weit werden wir heute kommen? Falsche Frage. Was werden wir heute erleben? Schon besser. Aber erstmal Frühstück und vorbeilaufenden Wanderern die Frage beantworten ob es kalt war, oder ob Tiere da waren, ob wir wirklich da geschlafen haben. Im Urlaubsmodus langsam das Equipment verpackend drehen sich die Zeiger meiner Uhr langsam aber sicher Richtung 11 Uhr. Wir sollten dann mal los …
Wie im letzten Jahr war der Weg mit Wasser durchtränkt, immer wieder rutschige Stellen, dann mal Kies und Schotter, kleinere Trails und wenige Schiebepassagen. Irgendwie alles dabei, um bei Michi um die Schönheit des Bikepacking zu werben.
So kamen wir schließlich auch irgendwann am Panorama Grill im Funpark Inselsberg an. Großartig! Echte Vita Cola, Bratwurst mit Karoffelsalat, Currywurst mit Fritten, Schokodonut und ein Heißluft-Händetrockner. Alles, was man braucht. Und nicht zu vergessen der Wirt, der uns den wertvollen Tipp gab, den “gelben Rennsteigweg” zu nehmen, weil wir da mit unserem Gepäck besser durchkommen. Danke. Der Tipp war richtig gut!
Der ewige Wechsel zwischen “Jacke an”, “Jacke aus”, “ziehe ich die Regenhose aus, oder lass’ ich sie lieber an? Wieder ein Tropfen an der Nasenspitze … war schon zapfig. Man kennt es, es gehört dazu uns ist auch irgendwie schön. Nach einer wundervollen Abfahrt durch den Wald kamen wir irgendwann am Rennsteighaus Neue Ausspanne an. Yes! Der Imbiss ist geöffnet! 2 Bier, 2 Bratwurstbrötchen, 10 €, zwei glückliche Gesichter. Und Sonne war auch mal kurz da.
Ich muss gestehen, warm war die Nacht nicht und das kalte Bier sollte mich noch einige Male aus meinem Nachlager reißen. Etwas übermüdet freue ich mich dennoch, meinen ersten Blick aus dem Fenster unserer Hütte zu richten und festzustellen: Ich hab wirklich mitten im Wald geschlafen! Ich bin irgendwo im Nirgendwo, hier sind nur wir Beide und nach dem Frühstück liegt vor uns ein aufregender Tag auf dem wundervollen Rennsteig.
Bis die ersten Wanderer unsere Einsamkeit unterbrechen. Plötzlich denke ich: Krass, Zivilisation! So weit davon entfernt können wir ja doch nicht sein. Viele erstaunte Blicke in unser Nachtlager später beschließen wir, uns auch auf den Weg zu machen. Heute überschreiten wir den Punkt, an dem Christian letztes Jahr aussteigen musste und ich freue mich bereits jetzt auf diesen Moment. Also rein in die dreckigen Klamotten und ab aufs Rad. „Hast du Bock? Ja, ich auch!“
Die Strecke hat heute viel zu bieten. Es ist gefühlt alles dabei, was man sich vorstellen kann: Es geht quer durch den Wald, bergauf und bergab, über alle erdenklichen Untergründe. Ja, genauso hatte ich mir das vorgestellt! Mich besorgt heute noch etwas die Suche nach einer Stelle, an der wir unsere Wasservorräte auffüllen können – doch auch das sollte kein Problem sein. Wir kommen immer wieder an kleinen Hütten vorbei, die meist mit Toiletten und fließendem Wasser ausgestattet sind und sogar Getränke und Essen verkaufen.
Wir kommen recht bald am Funpark Inselsberg an, wo wir uns mit einer kurzen Pause belohnen. Hier bekommen wir auch den hilfreichen Tipp, unsere Reise auf dem gelben Rennsteig fortzusetzen – der ist für Radfahrer deutlich besser befahrbar. Danke, lieber Wirt am Inselsberg – auch für die Vita Cola.
Nach der Ausspanne ging es über Wirtschaftswege vorbei an einem Aussichtsturm wieder in den Wald hinein. Das Wetter wurde zunehmend ungemütlicher und die Idee, die Nacht in einem Hotel zu verbringen nahm in unseren Köpfen immer konkreter Gestalt an.
Für das, was jetzt kommt, brauche ich etwas Dramaturgie. Bitte vor dem Weiterlesen kurz das hier anhören und dann zur nächsten Seite wechseln.
Weiter geht unsere Reise durch wechselhaftes Wetter – man weiß nie so recht, ob es gleich zu regnen beginnt, ob es nieselt oder irgendwie immer noch nebelig ist. Aber ich hab Spaß. Besonders gefällt mir die Freundlichkeit unter den Menschen, die sich auf Wanderwegen begegnen. Man teilt ein freundliches „Hallo“, manchmal ein kurzes Gespräch und ab und an auch den ein oder anderen Meter Strecke. Und Christian bekommt vor allem viel Anerkennung entgegengebracht – schleppt er doch heldenhaft das Gepäck für Zwei. Lass dich feiern, hast es dir verdient!
Wir haben uns verfahren.
Nun ist es also doch passiert: zwei junge Menschen, einsam im Wald umher irrend, kein weißes “R” am Baum zu sehen, kein Wegweiser, kein Navi-Empfang und kurz die Angst, in der thüringischen Wildnis als Skelett in zehn Jahren wiedergefunden zu werden.
Also wieder zurück. Blöd, weil es so wundervoll leicht bergab die ganze Zeit ging. Irgendwann passte der Weg vor uns wieder zu dem, was ich auf dem Display sah. Und oben rechts stand “LTE”. Zum Glück. Weil: Hotel und so! Es wurde immer dunkler und nebeliger auf dem Weg nach Oberhof.
Dann hatte uns der Wald ausgespuckt und wir landeten in einem furchtbaren Winterskiort mit viel Beton, Teer, Baustellen, Licht und allem, was einem nach einem Tag im Thüringer Wald auch noch so Abstoßendes begegnen kann. Das fühlt sich echt hart an.
Mist. Nun ist es also passiert. Wir sehen schon eine ganze Weile keine Wegweiser mehr und der Weg sieht immer verwilderter aus. Wir haben kein GPS, kein Netz und auch keinen Empfang. Jetzt bin ich also im Wildnis Abenteuer angekommen. Und ja, ich habe etwas Sorge, diesen Wald nie wieder zu verlassen. Ein verrücktes Gefühl! Aber sind wir mal ehrlich: Kurz nachgedacht, eine sinnvolle Richtung eingeschlagen und ok… Ehrlich gesagt einfach dem Christian folgend – der vorgibt, sich sicher zu sein, wo es lang geht (warst du??) – und man kommt schneller wieder auf den richtigen Weg, als man sich das erst einmal ausmalt.
Nach diesem Abenteuer habe ich für heute vor allem das Ziel vor Augen. Oberhof, wir kommen! Ach ja, es geht heute ins Hotel. Die Aussicht auf eine heiße Dusche und ein weiches Bett leiern mir die letzten Kilometer aus den Beinen.
Nachtlager
Es war eine gute Entscheidung, im nebligen Oberhof mit tropfender Nase und kalten Fingern, 4 kg Schlamm am Fahrrad und auf Michis Rücken booking.com aufzumachen und nach einem Hotel zu suchen. Tatsächlich fanden wir ein Zimmer im (Zitat) “unrenoviertem Zustand” und deshalb für nur € 75,–/Nacht. Das kleine kuschelige Zimmer mit sporadisch funktionierender Heizung konnten wir leider erst nach einem Gang durch das Hotel-Restaurant – mit eben 4 kg Schlamm auf dem Rücken von Michi – beziehen.
Die Location kann ich empfehlen, wenn Du auf skurrile Bars mit einem Hauch 1990er Jahre stehst. Da steht auch der fette “Kutscher Hannes” Tag und Nacht mit glasigem Blick an der Bar (der beim Frühstück echt wiederlich ist).
Heiße Dusche, Klamotten auf die Heizung, trockene Sachen anziehen und nach 12 Minuten RTL 2 ging es dann los in ein italienisches Restaurant in griechischem Ambiente und leckerem Essen. Der Wirt versteht es, Gäste angenehm zu unterhalten. Absolute Empfehlung: Restaurant Da Salvatore.
Ich glaube, so schnell und so satt bin ich lange nicht mehr eingeschlafen, wie an diesem Abend.
Und dann kommt es endlich: Das Ortseingangsschild „Oberhof“. Christian zückt direkt sein Handy und macht uns in Windeseile ein Hotel klar. Perfekt – auf zum Hotel „Zum Gründle“. Dort angekommen hoffe ich noch, dass wir mit unserer Kleidung nicht allzu sehr auffallen. Mit „wir“ und „unserer“ meine ich besonders mich, denn Christians Gepäck hatte ihn überwiegend vor Schlamm beschützt. Tja, wie war das mit meiner Hoffnung? Wir müssen, um zur Rezeption zu gelangen, quer durchs ganze Restaurant. Ich verkrieche mich tief in meinem Kragen, schäme mich etwas aber muss ehrlich gesagt auch ein bisschen darüber lachen. Endlich im Zimmer angekommen springe ich gleich unter die Dusche, wasche meine Klamotten mal grob durch, lege sie hoffnungsvoll auf eine nicht wirklich funktionierende Heizung und trinke ein kühles Bierchen.
Anschließend gehen wir italienisch essen, wo ich doch bemerke, wie skurril ich es finde, von anderen Menschen umgeben zu sein. (Vor allem, wenn sie sich eher ein Zimmer, als einen Tisch hätten nehmen sollen. Entschuldige, ich schweife ab. Kannste löschen.) Anschließend geht es direkt ins Bett und Christian schreibt zwar, dass er so schnell noch nie eingeschlafen ist, aber ich möchte hier festhalten, dass ich 3 Minuten schneller eingeschlafen bin. Danke moderne Technik für diese Erkenntnis. Ich hatte ja auch Einiges an Schlaf nachzuholen.
Sonntag, 18.10.2020
Guten Morgen flauschig warmes Federbett, guten Morgen durchgewärmter Christian, guten morgen warmes Zimmer. Guten Morgen Michi! Perfekt geschlafen. Die letzten Minuten vor dem Einschlafen komplett aus dem Gedächtnis gelöscht, so müde war ich.
Nach einem reichhaltigen Frühstück neben dem ekeligen Kutscher Hannes haben wir langsam unsere Sachen gepackt, um uns diesmal zeitiger auf den Weg zu machen. Das ist uns alleine deshalb schon gelungen, weil wir das Zimmer räumen mussten.
Die Sehnsucht nach Wald und Einsamkeit konnten wir nach ein paar Kilometern stillen. Es ging ziemlich schnell zurück ins Gelände, gleichmal mit einer Schiebepassage. Die Sonntagsspaziergänger wurden auch rasch weniger, wir waren endlich wieder zu Zweit.
Ab Oberhof ist der Rennsteig dann eher ernüchternd. Der ganze Wald-Zauber war weg. Landstraße, keine Schutzhütten.
Einzig eine Herde mit eintausend Schafen konnte mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ich liebe Schafe. Und wenn es tausend sind, liebe ich tausend Schafe. Gut, es haben sich auch ein paar Ziegen daruntergemischt.
Vom Rest des Tages kann ich eigentlich fast nichts berichten. Masserberg war wie ausgestorben, wider Willen gab man uns in einem Hotel den Wasserhahn für die Trinkflaschen frei … wir waren einfach nur froh, als wir links abbiegen und in den Wald zurück konnten. Das hat einen wirklich runtergezogen.
Und dann trafen wir ihn:
Ja, so völlig eingestimmt auf das härteste Wochenende meines Lebens hatte ich so meine Zweifel daran, im Hotel statt in einer Schutzhütte zu schlafen. Passte das doch so gar nicht zu meiner Einstimmung. Aber: So eine Nacht im Hotelzimmer tut schon gut – es war genau die richtige Idee. Ich fühle mich aufgewärmt und ausgeschlafen. Die Route noch einmal neu durchgeplant, für meine Verhältnisse 3 Frühstücksportionen mit einmal verdrückt, schnell die Sachen zusammengepackt und ab auf Piste. Wir kommen sehr schnell in den Wald zurück und finden uns zwischen vielen Sonntagsspaziergängern wieder. Als Kind habe ich das wirklich gehasst und ein wenig mitleidig betrachte ich auch das ein oder andere Kind, das zum Familienausflug gezwungen wurde.
Leider verläuft ab Oberhof der Rennsteig oft an Straßen entlang – die wenigen Waldabschnitte genießen wir umso mehr. Ansonsten machen wir heute sehr viel Strecke auf dem Asphalt. Und ich glaube, Christian gefällt das nicht so gut – aber ich habe wirklich meinen Spaß daran, einfach die Straßen runterzubrettern und wieder hoch zu strampeln. Wir fahren um eine Kurve und plötzlich baut sich vor mir das zweitunwirklichste Bild der Reise auf: Eine Wiese, 3 Schäfer, ich weiß nicht wie viele Schäferhunde und 1000 (!) Schafe.
Wir bewegen uns weiter über geteerte Straßen Richtung Nachtlager. Es steht der letzte Abend an und das erste Mal kommt etwas Wehmut auf. Um dem entgegen zu wirken, wollen wir möglichst vor der bereits eintretenden Dämmerung ein Nachtlager finden und den Abend noch einmal richtig genießen. In dieser Idee verlieren wir zunehmend das Gefühl der Entschleunigung mit dem Wunsch, endlich wieder in den tiefen Wald zu kommen – weg von den Straßen. Dann, endlich: Ein Waldweg. Vereinzelte Wanderer kommen uns entgegen, die den Wald vor der Dunkelheit noch schnell verlassen. Wir hingegen wollen das Gegenteil: Rein in den Wald, weg von den Menschen! Ich habe noch den Stress im Kopf, möglichst schnell eine Hütte finden zu wollen, und plötzlich kommt er uns entgegen:
Hallo Horst Golchert!
Der Mann, dessen Herz für den Rennsteig schlägt. Der Mann, der den Rennsteig gut 200 Mal abgelaufen ist. Der Mann, der Bücher über den Rennsteig schreibt und mit einem Pinsel weiße “R” an Bäume pinselt. Der Mann, der die versteckten Plätze kennt, an denen die Pilze wachsen, die er an umliegende Hotels verschenkt. Das könnte jetzt hier so ewig weiter gehen.
Entscheidend ist bei dieser Begegnung nur eines: Er hat mich zurückgeholt in die Aura des Rennsteigs. In das “Rennsteig-Gefühl”. Danke, Herr Golchert. Das haben wir dringend gebraucht.
Ich kann diese Begegnung nicht wirklich in Worte fassen. Aber Herr Golchert hat unser Rennsteig Erlebnis komplettiert. Seine Leidenschaft für den Rennsteig ergreift uns völlig und verdrängt all den Stress und die Anstrengungen des vergangenen Tages. All das liegt nun hinter uns. „Der Rennsteig ist unser Heiligtum“ berichtet er. Unser Blick wird auf ganz neue Details gerichtet. Ab jetzt werden wir auf unseren Wegen viele wunderschöne, alte Grenzsteine entdecken, sehen die von ihn gepinselten weißen „R“s auf den Bäumen ganz anders und freuen uns über die ein oder andere Geschichte, die er zu berichten hat. Ich verschwende einen kurzen Gedanken daran, dass es nun dunkel wird und ich eigentlich schon in einer Waldhütte liegen möchte. Am liebsten hätten wir Sie ja eingepackt, Herr Golchert – wir hoffen auf ein baldiges Wiedersehen!
Nachtlager
Die Eisfelder Ausspanne, die hat uns der geschätzte Herr Golchert empfohlen. Aber ehrlich? Sie war uns zu dunkel, die Bänke zu schmal. Es hat sich nicht gut angefühlt. Also fuhren wir zurück zur modernen Finnhütte, die nur ein paar hundert Meter zurück lag.
Wieder im Wald angekommen finden sich in kürzester Zeit mehrere Schutzhütten – heute haben wir die Qual der Wahl. Wir entscheiden uns für das gleiche Modell wie in der ersten Nacht – schließlich hatten wir damit schon gute Erfahrungen gemacht und uns wohl gefühlt. Wieder werde ich bestens versorgt: Es gibt eine warme Mahlzeit, ein viel zu kaltes Bier und einen heißen Tee. Danke Christian!
Dort angekommen erstmal das Nachtlager errichtet, die Küche aufgebaut und das Abendessen zubereitet. Schön! Mehr kann ich gerade nicht schreiben. Es war einfach nur schön! Ein schöner Abschlussabend einer kurzen Reise mit der Gewissheit, dass wir wieder kommen.
Wir sind beide sehr müde und legen uns früh schlafen, Die letzte Nacht steht an, meine zweite Nacht im Wald. Und heute klappts schon deutlich besser mit dem Schlafen. Frieren muss ich heute auch nicht, wir fahren alle Wärmekapazitäten, die wir dabei haben, auf: Warme Schuhsolen, Wärmepflaster für meine in Mitleidenschaft gezogenen Schultern und Taschenwärmer stehen uns zur Verfügung. Herrlich – hätte nicht gedacht, dass ich hier Draußen nachts noch ins Schwitzen komme.
Montag, 19.10.2020
Guten Morgen 40-Tonner-mit-Holz-auf-dem-Hänger. Guten Morgen Müllmann, der Du unseren Mülleimer leerst. Guten Morgen warmer Christian mit warmen Füßen. Und voller Blase.
Guten Morgen Rennsteig! Auch heute Morgen wirft der ein oder andere Wanderer einen Blick auf meinen Wach-werde-Prozess, aber das soll mich nicht weiter stören. Verwunderlicher fand ich eher große und kleine Fahrzeuge, die des Nachts im 2 Stunden Takt immer wieder an unserem Nachtlager vorbei kamen. Und tatsächlich findet sich vor unserer Hütte eine größere Waldstraße – was man am Abend so alles übersieht, fasziniert mich.
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Mit einem Kopf voller Eindrücken und dem Verlangen, auf jeden Fall wieder zu kommen um den Rennsteig zu beenden, verließen wir diesen Pfad nun Richtung Sonneberg. Irgendwie stieg ab dem Verlassen des Rennsteigs auch unser Verlangen, auf dem schnellsten Wege nachhause zu kommen. Lag sicherlich auch daran, dass wir immer wieder durch Ortschaften kamen, deren Häuser gefühlt vor der Wende zuletzt renoviert wurden. Ein wenig Disneyland “DDR”. Das Gefühl nachhause zu wollen paarte sich bei mir mit der Melancholie des Endes einer Bikepacking Tour.
Nach einem kurzen Frühstück geht es nun auf nach Sonneberg – In der Hoffnung, unterwegs einen Ort zu finden, an dem wir gemütlich frühstücken können. Leider kommen wir nur durch Ortschaften, die mir eher das Gefühl geben, dass ich eine Abbiegung vom Ende der Welt entfernt bin. Hier hat alles geschlossen, man findet kaum Menschen auf der Straße und sogar jeder Bäcker scheint sich zu denken: „Wenn wir Sonntag zu hatten, braucht uns am Montag auch keiner“. Meine Laune sinkt.
In dieser Stimmung stampft sich plötzlich die letzte große Challenge unserer Reise aus dem Boden: 2 Menschen mit Höhenangst eiern auf einem viel zu schmalen Radweg eine Serpentine hinauf. Die Leitplanke neben uns viel zu niedrig, der Abhang dahinter viel zu bedrohlich und als ob das nicht reicht, werden an diesem Abhang auch noch Bäume gefällt, die neben mir in die Tiefe stürzen. Wir nehmen all unseren Mut zusammen und meistern auch diese Herausforderung. Das erste Mal auf dieser Reise bin ich wirklich durchgeschwitzt und wünschte, wir hätten noch Bier.
In Sonneberg angekommen freuten wir uns nach einer langen Abfahrt über salzige Salamisticks, einem Erdmännchen, dass uns aus einem Fenster im dritten Stockwerk eines Hauses beobachtete und an der Zuversicht, bald im Zug nach Eisenach zu sitzen.
Nach einer rasanten Abfahrt erreichen wir endlich Sonneberg. Dieser Moment fühlt sich für mich völlig unwirklich an: Plötzlich liegt das große Abenteuer hinter mir. Ich habe Hunger, bin müde und könnte dennoch die ganze Welt umarmen. So viele Gefühle, die mich gleichzeitig überrollen und der Kopf für einen Moment ganz leer. Wir lassen uns glücklich auf der nächstbesten Bordsteinkante nieder, Christian zaubert etwas Essbares aus seinen Taschen. Ich schaue in ein Fenster und sehe, wie uns ein Erdmännchen beobachtet. Wie schön. Moment! Ein… was? Ich vergewissere mich kurz, dass Christian es auch sieht und ich nicht halluziniere. Er sieht es auch. Gut. Hallo unwirklichstes Bild meiner Reise.
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Rückfahrt
Sonneberg Bahnhof. Menschen. Corona. Stein. Teer. Laut. Linienbusse, schmutzige Toiletten, verlassen wirkendes Bahnhofshaus.
Sie war ernüchternd, die Feststellung dass man doch nur drei Tage im Wald war und sich die Welt nicht wirklich verändert hat in dieser Zeit.
Sie war lange, die Fahrt mit dem Zug nach Eisenach. Tolle Landschaften, verlassene Orte, Moderne. Sprung zurück in das Jahr 1989. Irgendwie war in den knapp drei Stunden alles vertreten.
In Eisenach angekommen haben wir unsere Räder in der Waschbox einer Tankstelle vom Schlamm befreit, bevor wir sie auf das Dach unseres Autos gespannt haben. Gemütlich ging es dann mit dem Auto zurück nach Nürnberg. 1.000 Gedanken im Kopf und dem Wissen
Nach unserer kurzen Pause auf dem Bordstein bewegen wir uns in einem letzten Kraftakt zum Sonneberger Bahnhof. Ab jetzt finde ich jeden Meter irgendwie anstrengend. Ich bin traurig, dass die Reise nun hinter uns liegt und stelle fest, dass ich es gar nicht begreifen kann, heute Abend daheim zu sein und morgen wieder ganz im Alltag ankommen zu müssen. Das nächste Mal nehme ich mir sicher einen Tag mehr frei, um meinen 1000 Gedanken im Kopf Raum zu lassen.
Was für ein Wochenende. Christian, ich bin dir unendlich dankbar für deine Hartnäckigkeit, mich zu überzeugen, dich in den Wald zu begleiten. Ich habe zwar wirklich tagelang überlegt, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme, doch du hast vom ersten Tag an eine Neugierde bei mir hinterlassen, die mich zum Glück zu diesem Abenteuer bewogen hat. Danke, dass du mir gezeigt hast, was dein Herz beim Bikepacking zum Schlagen bringt. Ich verstehe das jetzt und freue mich auf die nächste Tour!
Rennsteig, wir haben dich nicht bezwungen. Zum Glück, Denn:
Rennsteig, Du bist schön. Wir kommen garantiert wieder.
Bikepacking Tour am Rennsteig
Titelbild "Rennsteig Höhenweg Beschilderung" von Galahad® - Heiko Jahn, Wikipedia entnommen.
Moin, Vielen Dank für den Artikel. Kam gerade sehr gelegen und hat mir geholfen! Herzliche Grüße