Axel Münch an der Drehbank

Schrauben, Drehmoment, Fett & Co.

Fett wenden wir landläufig im Kontext „Schmierung“ an: wenn was gut laufen soll – Fett drauf. Zum Beispiel bei der Kette. Aber wie verhält es sich bei Schrauben? Der Eine pinselt Fett auf das Gewinde, der andere Montagepaste oder einen Tropfen Öl. Was wo richtig ist, welche Fehler Du machen kannst, das erfährst Du in diesem Interview.

Chris: Axel, erstmal vielen Dank für Deine Zeit. Vorab: warum kannst Du uns bei unseren Fragen rund um das Thema „Schrauben“ helfen? Was ist Deine Expertise?

Axel: Seit letztem Jahrhundert und fühester Kindheit arbeite ich mit Schraubverbindungen, nicht nur beim Zerlegen und Montieren hauptsächlich an klassischen Fahrzeugen, sondern auch bei der Fertigung und Instandsetzung von Innen- und Außengewinden zum Teil an unwiederbringlichem Material, wie beispielsweise bei der Restaurierung von Vergasern für Vorkriegsautos.

Chris: Gut, dann haben wir ja den richtigen Mann für unsere Fragen (was ich natürlich vorher wusste)! Ich lege gleich mal los:

Schraubentypen

Chris: Wir kennen Kreuzschlitz, Torx und Inbus (es heißt Inbus, alternativ Innensechskant aber nicht „Imbus“! „Inbus“ ist ein Kunstwort und hat seinen Ursprung in „Innensechskant Bauer und Schaurte“) Was ist der Unterschied und warum gibt es so verschiedene Systeme?

Axel: Eine richtige Schraube hat natürlich einen Sechskantkopf (lacht), aber die Fertigungstechnik hat für den Maschinenbau die anderen Kopftypen entwickelt, um rationeller und platzsparender konstruieren und montieren zu können. Die hier weltweit erfolgreichste Entwicklung kommt tatsächlich aus meiner Geburtsstadt Neuss von Bauer & Schaurte, da der Innensechskantkopf der Zylinderschraube DIN 912 keinen Platz außen verbraucht, um dort einen Schlüssel anzusetzen. Zunächst ging man bei den hochfesten „Inbusschrauben“ von einem hohen Anzugsdrehmoment aus, sodaß mit dem „Inbusschlüssel“ DIN 911 angezogen wurde. Es stellte sich aber bald heraus, daß sich die Schraube in klein auch sehr gut zum Auffädeln auf einen Handschraubendreher eignet, sie nicht wie eine Schlitzschraube leicht vom Schraubendreher fällt. Das hat die Industrielle Fertigung massiv beeinflusst. Die Kreuzschlitz-Schraube ist eine Abwandlung der Schlitzschraube aus gleichem Grund, bei höherem Anzugsdrehmoment fransen die vier Kanten weniger stark aus als die zwei Kanten der Schlitzschraube (was in den 50er Jahren mit einer klassischen Rundkopf-Schlitzschraube noch viel extremer war). Leider haben sich mit Philips und Pozidriv hier zwei Standards nebeneinander etabliert, sodaß man ungewollt die Schraube ruiniert, wenn der nicht passende Schraubendreher verwendet wird. Kreuzschlitzschrauben immer mit dem größtmöglichen, satt passenden Schraubendreher lösen und anziehen! Torx ist ein weiterer Industriestandard, der im Unterschied zu Inbus leichter maschinell aufgefädelt werden und das Werkzeug auch schräg angesetzt werden kann.

Schraubenkopf

Chris: Ich selbst habe schon bemerkt, dass die Kombination „Inbus-Linsenkopf-Schraube aus Aluminium“ so ziemlich das Schlechteste ist, mit dem ich umgehen kann: sie packt nicht richtig, dreht durch, sitzt fest. Axel, welche Schraubenköpfe gibt es und welche Vor- und Nachteile siehst Du?

Axel: Da wir schon vorher festgestellt haben, daß neue Schraubenköpfe nicht wegen Schönheit oder aus einer Laune heraus entwickelt wurden, sondern wegen der Rationalisierung der Fertigung, konstruktiven Merkmalen oder generell zur Einsparung von Kosten, sollten wir uns bei den wenigen wichtigen Schrauben am Rad eher von praktischen Überlegungen leiten lassen. Ich könnte einer Lösung den meisten Respekt abgewinnen, die für alle Schrauben einen Innensechskantkopf vorsieht, sodaß ich unterwegs mein Werkzeug standardisieren kann und für evtl. Muttern auf der Gegenseite jeweils die Schlüsselweite nur einmal vorhalten muß, wenn möglich Ringschlüssel. Sollte der Innensechskant verschmutzt, gerostet oder „vernudelt“ sein, kann man mit einer Wasserpumpenzange immer noch den Kopf sehr gut packen. Alternativ zum Innensechskant gibt es, mit noch mehr Kraftübertragung, auch noch den weiterentwickelten „Innenvielzahn“. Zum Radreisen würde ich die Entscheidung also immer am Werkzeug festmachen.

Bei der Wahl des Werkstoffes würde ich immer nur hochfeste Stahlschrauben nehmen, in der Festigkeitsklasse 8.8 oder besser 10.9. Eine Titan- oder Aluminiumschraube muß sich die Frage gefallen lassen, ob das Mindergweicht gegenüber Stahl ernsthaft betrachtet werden muß. Bei Senkschrauben oder Linsensenkschrauben könnte der Innenvielzahn technisch die beste Variante sein, was aber nicht in allen Abmessungen zu bekommen ist. Bei einer Festsitzenden Schraube ist Temperatur immer die Ultima Ratio – daher bevorzuge ich generell Stahlschrauben, um mit einem physikalischen Wärmeunterschied und -impuls diese lösen zu können.

Material

Chris: Es gibt VA-Edelstahl-Schrauben, Titanschrauben und Aluminium-Schrauben. Kannst Du uns grob Vor- und Nachteile der Materialien im Kontext Fahrrad nennen?

Axel: V2A und V4A waren zwei Abteilungsbezeichnungen, zwei Flure in der Entwicklung bei Thyssen, wo hochfester, rostfreier Stahl entwickelt wurde. VA ist die landläufige Bezeichnung für solche Edelstähle, die aber wie auch rostender Stahl sehr unterschiedliche Festigkeiten und Zerspanbarkeiten haben. Meist sind die am Fahrrad verwendeten Edelstähle sehr hart und zäh, teilweise sehr hochwertig und verabschieden sich bei Überlastung nur abrupt mit sofortigem Bruch, akzeptieren keine Biegung/Verformungen oder ähnliche Mißhandlung. Titan ist hochfest, extrem leicht, noch anspruchsvoller in der Verarbeitung und bei Aluminium reden wir bei Schrauben von hochentwickelten Materialien aus der Luftfahrtindustrie, wo Aluminium die gleiche Zugfestigkeit erreicht hat wie Stahl. Bei allen diesen Schraubenwerkstoffen gilt es, peinlich genau den Sitz und die Anzugsdrehmomente einzuhalten, da eine übermäßige Streckung oder Scherbeanspruchungen die Schrauben zum Brechen bringen und dem ambitionierten Radfahrer einen Liegenbleiber bescheren.

Gewindetypen

Chris: Am Fahrrad kommen ja – bis auf die Achse – normalerweise Feingewinde zum Einsatz...

Axel: Am Fahhrad ist aufgrund des Leichtbaus nirgenwo „Fleisch“ für ein langes Gewinde. Damit das Gewinde also trägt, die Zugkräfte aufnehmen kann, braucht es auf kurzer Länge möglichst viele Gewindegänge. Das ist die klass. Anwendung des Feingewindes. Aber Achtung – für das Anzugsdrehmoment haben wir beim metrischen Regelgewinde oft ein gutes Gefühl, bei Feingewinden aber erzeugt viel weniger Kraft als gewohnt eine enorme Spannung auf der Schraubverbindung

Drehmoment

Chris: Wer sein Rad aufmerksam begutachtet stellt fest, dass es an vielen Schrauben Informationen wie „3 Nm“ trägt. Das bedeutet, dass ich die Schraube nur bis zu einem bestimmten Punkt anziehen darf. Viele sagen „Drehmoment habe ich im Handgelenk“, aber es heißt auch „nach fest kommt ab!“.

Axel: 3 Newtonmeter sind fast nichts! Das sind gerade 300 Gramm, die an einem ein Meter langen Hebel angreifen. Also 'janz höösch', wie man im Rheinland sagt. Die Konstruktion und die Festigkeit der Schraube müssen zusammenpassen, sind in der Regel ausführlich erprobt und somit muß für die Montage auch die richtige Spannung auf die Schraubverbindung gegeben werden: Nicht zuviel, damit das Gewinde nicht abreißt, nicht zuwenig, damit es sich nicht löst.

Grundsätzlich sind alle angegebenen Drehmomente peinlich genau einzuhalten, sonst wären sie nicht angegeben! Den Rest kann man immer nach Gefühl machen. In der heimischen Werkstatt sollte also ein einfacher Drehmomentschlüssel nicht fehlen.

Chris: Was aber mache ich unterwegs, wenn ich reparieren muß?

Alex: Ganz einfach: Das Drehmoment wird heute in Nm angegeben, also wieviel Newton (Gewichts-) Kraft soll in einem Meter angreifen. Das ist etwas sperrig, weil wir für Kilogramm-Angaben ein besseres Gefühl haben. Wenn ich also eine Angabe von 20 Nm Anzugsdrehmoment habe, dann versuche ich mit ungefähr 20 Newton, das sind (fast genau geteilt durch zehn) mit 2 kg Gewichtskraft an einem Hebel von einem Meter Länge zu ziehen. Das kann man sich bei kürzerem Hebel, am mit dem Arm verlängerten Schlüssel, auch noch unterwegs bei einer Panne recht gut vorstellen. Ich arbeite mit Kopf und Arm also immer noch wie früher in mkg, Meterkilogramm!

Schmierstoff

Chris: Jetzt wissen wir schon, dass es Schraubenkleber in verschiedenen Eigenschaften gibt: von „festhalten“ bis „nie mehr rausdrehen“. Dann gibt es zum Reindrehen aber auch Montagepasten, andere nehmen Öl, nächste pinseln Fett auf und wieder andere sagen „niemals was aufs Gewinde, dass verändert das Drehmoment!“. Axel – was ist denn nun richtig? Und: wenn „ja“ – warum überhaupt schmieren? Wegen Rost? Damit die Schraube leichter rein und raus geht?

Axel: Bei einer ernsthaften Drehmomentangabe eines hochbelasteten Teiles darf ich vom Konstrukteur oder Händler verlangen, auch über die Ausführung informiert zu werden: Also trocken oder gereinigt, fettfrei (wie bei der PKW-Radschraube ohne Lack dazwischen) oder mit der Angabe „gefettet“, „mit Öl“ oder „mit Montagepaste“. Ansonsten ist die Angabe wertlos. Die Schmierung des Gewindes spielt dabei die kleinere Rolle gegenüber der Schmierung der Auflagefläche, oder wenn eine Unterlegscheibe noch beidseitig geschmiert wird. Ein Mißverständnis kann hierbei zu lockeren Verbindungen, die dann unter Belastung brechen oder zum direkten Abriß des Gewindes führen. Hauptgrund für Montagepasten oder Fette, vom Öl bis zur Kupferpaste ist die bessere Fähigkeit, das einmal nach Jahren wieder zerstörungsfrei loszubekommen, also Verhinderung von Korrosion der Anlageflächen. Dort wo keine besonderen Vorschriften herrschen, nehme ich gerne irgendein Fett oder Paste und wische das nach dem Anziehen einfach sauber.

Werkzeug

Chris: Es gibt Innensechskant-Sätze für € 9,99 oder € 99,00. Jetzt habe ich schon festgestellt, dass es Unterschiede beim Neigungswinkel des runden Kopfes am Werkzeug gibt: billige Schlüssel packen schnell nicht mehr an. Was sollten wir also (und warum) beim Werkzeugkauf beachten?

Axel: Billigwerkzeug ist nie eine Option. Auch muß man den Mut haben, einen nicht mehr ganz scharfen Innensechstkantschlüssel oder Einsatz, mit dem man schon dreimal abgerutscht ist, halt nicht mehr zu benutzen oder kürzer zu schleifen, bis er wieder sauber sitzt. Die verrundeten „Köpfe“ am Inbusschlüssel dienen dazu, auch schräg ansetzen zu können. Diese übertragen viel weniger Kraft, sind schön beim Einfädeln, aber bitte niemals benutzen, wenn es um hohes Drehmoment geht. Für unterwegs prüfen, ob überall die geraden Inbusschlüssel an die Schraubenköpfe herankommen. Ich persönlich lasse Made in China komplett weg im gesamten Kaufverhalten. Damit habe ich locker schon 70% des gesamten Schrotts vom Weltmarkt schon vermieden. Das beste Werkzeug weltweit gibt es ganz klar im Bermudadreieck aus Remscheid, Solingen und Wuppertal, also Made in Germany. Ein bisschen was noch aus den USA und Japan, die wahrscheinlich für Fahrräder auch schöne, schlanke Sets entwickelt haben. Davon das mitnehmen, was beim eigenen Fahrrad und denen der Freunde auch wirklich verbaut ist.

Werkzeugmaterial

Chris: Eine letzte Frage: wir sparen gerne Gewicht. Was hältst Du von Werkzeug aus Titan?

Axel: Ein Werkzeug für Besserverdienende. Warum nicht? Es sollte aber niemals in meiner Hand brechen, das wäre fatal. Bei kreativer Schrauben- und Werkzeugwahl kann ich wahrscheinlich mein Werkzeug auch ohne Titan sehr minimal halten. Wenn mein Ringschlüssel auf der anderen Seite eine Schlüsselweite hat, die ich niemals brauche, dann trenne ich die mit dem Handwinkelschleifer ab und habe noch für einen anderen Anwendungsfall einen Rohrsteckschlüssel dabei, den ich aufstecken und als Hebel und Handgriff benutzen kann. Das Werkzeug, mit dem ich in ganz Europa mit klass. Autos unterwegs bin, das habe ich seit dem 11. Lebensjahr schon gesammelt und es wird immer noch verfeinert! Für den Radreisenden sollte dies also auch ein schönes Neben-Hobby werden!

Axel, vielen Dank für Deine Zeit. Das Interview hat Spaß gemacht und ich denke, wir haben alle Fragen gestellt und beantwortet. Sollten noch Fragen auftauchen, leite ich sie gerne an Dich weiter und ergänze sie samt Antwort in diesem Artikel.

Bildnachweis
Das Bild "Inbusschrauben" im Teaser und bei Instagram haben wir von Samuel Faber auf Pixabay
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