Kolonnenweg durch ein Mohnblumenfeld mit einem Bikepacker

Grenzsteintrophy 2020. Ich war dabei. Kurz.

Grenzsteintrophy. Kurz “GST”. Ich habe mich auf sie gefreut. Ein Stückchen war sie meine Rettungsinsel nach 96 Tagen Lockdown, Ausnahmesituation, Corona-Alltag. Leider nahm sie ein rasches Ende. Aber fangen wir von vorne an.

Tag 0. Anreise

Ich wurde immer nervöser. Heute sollte es soweit sein: die Fahrt mit dem Zug von Nürnberg nach Hof stand an. Dann noch ein paar Kilometer ins unbekannte Hinterland zum Hotel Raitschin, wo ein Teil der anderen Fahrer sich für diesen Tag verabredet haben.

Am Nürnberger Hauptbahnhof dann immer wieder geguckt – treffe ich meinesgleichen vielleicht schon hier an? Die stetige Observation nach der typischen Ortlieb Arschrakete oder einem bepackten Mountainbike hielt meinen Puls hoch, bis der Zug kam. Und dann traf ich einen: Wolfgang. Minimalistisch ausgestattet, ein Tier von einem Mountainbike-Fahrer mit dem Plan in der Tasche, das Ding in sechs Tagen zu rocken. Mehr Zeit hat er nicht. Wir hatten gute Gespräche. Am Ende des Tages letztlich das Hotelzimmer geteilt, gemeinsames abendliches Speicherfüllen im Hotel-Restaurant und gute Nacht. Was für ein Glück, da das Frühstück am nächsten Tag mit einer glatten 6 benotet werden wird.

Tag 1: Frühstück und Start

Wie gesagt: das Frühstück. Staubiges Müsli ohne Milch, die Butter ist an diesem Werktag “ausgegangen” (was in einem Hotel nicht passieren darf), Brötchen wurden aufgebacken und gefühlt einzeln gereicht. Kurzum: zum Speicherfüllen war das Frühstück höchstens für einen Fahrer zu gebrauchen. Für € 89,–/Nacht recht ärgerlich. Der Standortvorteil war dennoch nicht zu toppen. Nächstes Jahr also Selbstversorger schon beim Frühstück.

Auf zum Start! Wolfgang hatte noch einen undichten Hinterreifen, sonst war alles fein. Die Aufregung war groß! Fotoshooting, ein kleiner Schnack mit Gunnar und ab geht es: den ersten Tag im Schongang über “die Platte”. Die wird mich noch viele Kilometer beschäftigen.

Nach 10 km habe ich bereits zwei meiner Trinkflaschen verloren. Learning: an der GST-Strecke sind Kabelbinder oder Straps das wichtigste Equipment. Was nicht fest an den Rahmen getackert ist, geht flöten.

Unterwegs habe ich dann Benno kennengelernt. Mit ihm habe ich die folgenden Tage geteilt. Die Reparatur eines Klassikers (Bombtrack Beyond 1 Rahmenschloss einer Mitfahrerin gebrochen) hielt uns dann noch über eine Stunde auf, Kilometer zu machen. Als wir abends kurz vor Probstzella beschlossen hatten den Tag zu beenden, schlugen wir unsere Zelte auf einem Waldweg auf. In der Nacht merkte ich dann, dass meine Exped* undicht war und Luft verlor. Ich schlief also auf dem Waldboden.

Relive Tag 1

Relive einblenden

Tag 2: Speicher füllen und weiter bis Sonneberg

Am zweiten Tag musste ich 10 km bis zum nächsten Kaffee durchhalten. Klingt erstmal nicht viel, auf der Platte jedoch eine gefühlte Ewigkeit. Mein Kilometerziel musste ich schon an diesem Fahrtag reduzieren, wir kamen immer mehr ins Defizit zum Plan. Regen, Kälte, rutschige Oberfläche, Sonne, Hitze – irgendwie alles dabei. Auch die erste Panne: als ich – sagen wir “zügig” eine Plattenkante überfuhr, tat es hinten einen Schlag und ich hörte die Luft zischen. Nach einigen Versuchen, die Dichtmilch in ihrer Arbeit zu unterstützen, gab ich auf: Reifenwechsel. Was für eine Sauerei, auf offener Strecke mit der Milch zu hantieren! Nach zwei Patronen und eineinhalb Stunden war ich dann wieder fahrbereit. Als wir in Sonneberg dann gegen 19.30 ankamen, beschlossen wir zu essen, was wir essen können, um danach ein Hotelzimmer zu nehmen.

Das Hotel “Schöne Aussicht” ist eine totale Empfehlung! Wir konnten unsere Sachen zum Waschen abgeben, haben super geschlafen und am nächsten Morgen den Tag mit frischen Klamotten begonnen. Meine Exped* konnte ich auch noch flicken. Großartig.

Diesen Tag habe ich als den schönsten Fahrradtag, den ich je hatte, in Erinnerung behalten.

Unzählige Roller Coaster machten uns immer mutiger, mit über 40 km/h donnerten wir die Platten runter und bis zu 2/3 die gegenüberliegende Steigung wieder rauf. Es ist unbeschreiblich schön, diese materialfressende Strecke zu donnern, zu schieben, zu schwitzen, zu fluchen, zu erleben. Und immer schwingt die Geschichte dieses Weges mit.

Relive Tag 2

Relive einblenden

Tag 3: es knackt…

Das Unheil meldete sich an. Erst ganz leise, dann wurde es immer stärker. Ich hörte das Radlager hinten knacken. Dieser unrhythmische Takt sollte mich von nun an begleiten. Mehrere Stops mit Untersuchungen und Überlegungen, wie wir der Sache Herr werden könnten, dominierte nun den Tag. Ich beschloss nach einen Kaffee bei “Sabines Bar/Café” (danke an den total netten Pächter für seinen Support außerhalb der Öffnungszeiten!), das Lager kaputt zu fahren.

Wir fuhren dann noch weiter bis Ummerstadt und schlugen dort unsere Zelte auf. Eine großartige Nacht mit reichlich Tiefschlaf. Den brauchte ich auch …

Relive Tag 3

Relive einblenden

Tag 4: 30 km zum Frühstück am Bayernturm

Am nächsten Morgen machten wir uns zeitig los, um am Bayernturm zu frühstücken. Es war knapp. Ich hatte schlechte Laune ohne Frühstück und Kaffee. Die Fahrt lief zügig durch wundervolle Landschaften. Wie an allen Tage davor auch regelmäßiges Zecken checken, Gummibärchen essen und Elektrolyt-Pulverchen im Trinkwasser auflösen.

Am Bayernturm war die Tür verschlossen. Von Sven Biketourer haben wir jedoch gelernt, hartnäckig zu bleiben, dann gibt es auch Frühstück. Und so war es: wir saßen vor der verschlossenen Gaststätte, bis plötzlich der Wirt rauskam und uns Frühstück anbot.

Nach einem reichlichen Frühstück waren dann auch die Socken und Schuhe wieder in der Sonne getrocknet, die Speicher gefüllt. Es ging weiter. Auch mit dem Knacken des Lagers. Es wurde immer lauter.

Ich beschloss, das Geräusch mit lauter Musik zu übertönen und ballerte mit Benno über Platte, Teer, Schotter und Radwege. Es hat nach den vielen Höhenmetern richtig Freude bereitet, mal wieder Kilometer zu machen.

Das Aus.

Leider kam nun auch das GXP-Tretlager hinzu. Es knackte beim Treten, das Radlagerknacken spürte ich mittlerweile auch über den Lenker in den Händen. Nachdem ich die Kopfhörer abnahm, hörte ich das Ausmaß in seiner vollen Pracht: ich klang wie eine Popcorn-Maschine!

Ein Kleines Klangbeispiel, noch vom Anfang. Mein Telefon war zum Aufnahmezeitpunkt auf dem Lenker angebracht:

Ich hielt an, nahm das Rad hinten hoch und stellte fest, es drehte sich nicht mehr frei. Ein paar Umdrehungen und es stand. F***K. Was tun? Es ist Samstag Nachmittag, ich stehe irgendwo zwischen zwei Dörfern und habe weder mit O2, vodafone noch T-Mobile Internet. In meinen Mails habe ich dann die Nummer der Komoot Premium Versicherung gefunden und dort angerufen. Tolle Versicherungsleistungen, aber Samstag Nachmittag halt nicht hilfreich: bis Montag morgen irgendwo übernachten, dann Werkstattbesuch, dann weiter. Ich hätte also im besten Fall zwei Fahrtage verloren. Ich war völlig frustriert. Und die bisherige Erfahrung hat mir gezeigt, dass Shimano-kompatible Tretlager und Ersatzteile überall zu kriegen sind, SRAM jedoch nicht. Die Chance, das richtige Kugellager dann noch zu kriegen, bewertete ich auch nicht hoch.

Ich fuhr dann weiter bis ich Empfang hatte. Überlegte, in ein Hotel einzuchecken und zu gucken, ob amazon die Teile mit Prime dort hinliefern könnte. Wäre dann auch Dienstag geworden. Ich war völlig frustriert und habe beschlossen, die Tour abzubrechen. Ich möchte nicht mit blockiertem Hinterrad irgendwo auf dem Kolonnenweg stehenbleiben.

Die Entscheidung war richtig: nach 30 km erreichte ich den Bahnhof Bad Neustadt an der Saale. Das Hinterrad bremste mich mehrfach extrem aus. Um 20.30 Uhr war ich dann schließlich in Nürnberg zurück.

Sonntag: Den Übeltäter entdeckt.

Der Käfig des Rillenkugellagers hat sich zur Hälfte aufgelöst, eine Kugel fehlte gänzlich. Wo auch immer sie ist. Die Teile sind nun bestellt, ein Nachjammern nutzt nix, nächstes Jahr fahre ich wieder. Und dann bis zur Ostsee.

Resümee und Fazit

Der von mir gefahrene Streckenteil der Grenzsteintrophy hat sehr große Freude gemacht. Die vielen Stechmücken, Zecken, der Schlamm, der Wildwuchs, die tausenden Plattenlöcher durch die ich gefahren bin – alles in dieser Kombination großartig! Du kommst dir fern von Zeitgefühl und Zivilisation wie in der Wildnis vor, obwohl du “jederzeit links abbiegen und abbrechen kannst”. Ist echt anstrengend, aber lohnt. Zwischendrin immer wieder das Bewusstsein, dass politische Ideologien solch eine wahnsinnige Grenze geschaffen haben, Menschen getrennt wurden, Menschen ermordet wurden. Viel Leid. Das machte mich immer wieder nachdenklich.

Die sportliche Perspektive: Geile Materialschlacht. Grandiose Roller Coaster, hohe Equipment-Verluste, wo die Kabelbinder und Straps nicht gehalten haben. Die Kilometerplanung hatte im Groben gepasst.

Grandiose Orga! Am ersten Tag kamen Kartoffelsuppe und Bier punktgenau und total überraschend. Herzlichen Dank!

Ich muss aufhören zu schreiben, da mir elfundfünfzigtausend weitere tolle Kleinigkeiten einfallen, dann ließt das aber irgendwann niemand mehr, weil zu lang.

Für welchen FahrerInnentyp ist die Grenzsteintrophy geeignet?

Jetzt konnte ich das Ding ja nicht fertig machen. Dennoch konnte ich mir für den gefahrenen Teil eine Meinung bilden. Auf dieser basiert meine Einschätzung. Die GST ist geeignet für alle, die…

  • ihr Rad 30% bergauf noch schieben können und wollen
  • die wichtigsten Sachen auch selbst reparieren können
  • die wissen, wo ihre Grenzen sind
  • Einsamkeit suchen
  • die ihren Wasserhaushalt beherrschen
  • konditionell gut aufgestellt sind
  • etwas risikofreudig und abenteuerlustig sind

Equipment-Tipp

Special Thanks

Ich möchte mich besonders bei Peer, Nici, Wolfgang, Judith, Benno und natürlich Gunnar bedanken. Jeder von euch weiß, warum.

Relive Tag 4

Relive einblenden
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

4 Antworten auf „Grenzsteintrophy 2020. Ich war dabei. Kurz.“
Avatar für Daniel Daniel sagt:

Ein wirkliche schöner Bericht der mich an die letztjährige GST und ihre Strapazen erinnert!

Den Frust das die Technik nicht mit macht oder etwas unvorhersehbarea passiert was ein ausbremst kann ich durchaus nachvollziehen.
Die Angst fuhr beim ersten Mal auch täglich mit.

(Hab ich doch im Harz mein GPS auf einer Abfahrt verloren, und nach 30min suchen wieder gefunden.)

Viel Spaß noch bei weiteren bikepacking Touren!

Grüße Daniel P.

Avatar für Daniel Daniel sagt:

Korrektur… es ist ja schon 2 Jahre bei mir her 😳 . Wie die Zeit vergeht.

Avatar für Christian Christian sagt:

Daniel, dann wird es doch Zeit, dass Du 2021 wieder dabei bist, oder nicht?
Grüße
Chris

Avatar für Benjamin Linke Benjamin Linke sagt:

Ein geiler Tripp…
2021 bis zum Ende…(hoffentlich)
Gruß
Benny

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner